Acta Historica Astronomiae Vol. 8 - Vorwort

300 Jahre Astronomie in Berlin und Potsdam

 


Vorwort
[Foreword. - In German]

 

Anlaß dieses Bandes ist der 300. Jahrestag der Erteilung des Kalender-Patents, der Berufung des ersten Astronomen der Berliner Akademie der Wissenschaften und der formalen Gründung der Berliner Sternwarte, von der eine direkte Traditionslinie über die Sternwarte Babelsberg zum heutigen Astrophysikalischen Institut Potsdam (AIP) mit Sitz in Potsdam-Babelsberg führt. Die hier vorgelegten Beiträge behandeln allerdings nicht nur die Berliner Sternwarte und deren unmittelbare Nachfolgeeinrichtungen. Die Sternwarte und ihre Astronomen waren sehr eng mit dem Umfeld verbunden - in Personalunion mit der Berliner Akademie der Wissenschaften und der Berliner Universität, direkt oder indirekt mit anderen astronomischen, physikalischen und geowissenschaftlichen Einrichtungen durch die Beteiligung an deren Gründung, durch Mitarbeit in Gremien, durch Personalaustausch und durch Kooperation. Einige dieser Einrichtungen gingen zwischen 1950 und 1984 gänzlich oder in Teilen in der Sternwarte Babelsberg bzw. im Zentralinstitut für Astrophysik (ZIAP) auf, auf dessen Basis sich wiederum 1992 das AIP gründete:

In den fünfziger Jahren wurde der im Berliner Raum verbliebene Teil des Astronomischen Rechen-Instituts, das einst von der Berliner Sternwarte getrennt worden war, in die Sternwarte Babelsberg eingegliedert. 1969 wurden die Sternwarte Babelsberg, das Astrophysikalische Observatorium Potsdam (AOP) sowie zwei Sternwarten im Süden der DDR zum ZIAP vereinigt, allerdings ohne den Einsteinturm und das Radioobservatorium Tremsdorf, die zuvor zum AOP gehört hatten; diese kamen erst in den achtziger Jahren zum ZIAP und sind heute auch Teil des AIP. Das Radioobservatorium Tremsdorf wiederum entstand durch Vereinigung von Aktivitäten des AOP und des Heinrich-Hertz-Instituts in Berlin-Adlershof. Der Gründer des Einsteinturms kam von der Sternwarte Babelsberg. Am heutigen AIP sind Astronomen beschäftigt, die ihre Forschungen am Institut für Kosmosforschung in Berlin begonnen hatten.

Die traditionell engen Beziehungen zwischen den Potsdamer Observatorien und den Berliner Hochschulen waren bis 1989 fast gänzlich zum Erliegen gekommen. Inzwischen gibt es in Potsdam wieder Studenten und Doktoranden der Berliner Universitäten, und in Berlin halten Potsdamer Astronomen einzelne Vorlesungen. Auch an der Potsdamer Universität, die aus der Pädagogischen Hochschule hervorging, konnte die Astrophysik etabliert werden, und gemeinsame Berufungen der Universität und des AIP bewirken enge Kontakte. Außerdem sind an der Potsdamer Universität ehemalige Mitarbeiter des ZIAP beschäftigt.

Die Physik in Berlin hatte einen beträchtlichen Einfluß auf die Entwicklung der Astronomie. Die heutige Astrophysik ist undenkbar ohne Quantenphysik, die um 1900 mit den Arbeiten von Max Planck und anderen ihren Anfang nahm. Einzelne Berliner Physiker arbeiteten auch selbst zur Astronomie oder Kosmologie - prominentestes Beispiel ist Albert Einstein. Die Physiker hatten in der Akademie, der Universität oder durch direkte Beteiligung an der Leitung des AOP und des Einsteinturms Einfluß auf die Berliner und Potsdamer Astronomie, z.B. bei Berufungen. Wilhelm Foerster, der Direktor der Berliner Sternwarte, war maßgeblich an der Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt beteiligt und unterstützte den Physiker Eugen Goldstein, indem er ihn anstellte. In den Laboratorien des AOP und der Sternwarte Babelsberg wurden auch allgemeine Untersuchungen zur physikalischen Spektroskopie ausgeführt. Zwischen dem Institut für Optik und Spektroskopie in Berlin-Adlershof und Potsdamer Astrophysikern gab es eine Zusammenarbeit beim optischen Gerätebau.

Die Geodäsie verdankt der Berliner Sternwarte die Entdeckung der Polhöhenschwankung. Bis in die 1960er Jahre hinein wurden an der Sternwarte Babelsberg geodätische Arbeiten ausgeführt, ehe diese zusammen mit den beteiligten Astronomen an das Zentralinstitut für Physik der Erde (ZIPE) in Potsdam verlagert wurden. Umgekehrt kamen später Spezialisten für Magnetosphärenphysik vom ZIPE auf dem Umweg über das Zentralinstitut für solar-terrestrische Physik ans ZIAP. Auch die geomagnetischen Messungen begannen zunächst an der Berliner Sternwarte, ehe ein eigenständiges Geomagnetisches Observatorium entstand. Die ersten meteorologischen Beobachtungen in Berlin wurden von Astronomen ausgeführt. Alexander von Humboldt, der vor allem Verdienste auf geowissenschaftlichen Gebieten hatte, veranlaßte den Bau der zweiten Berliner Sternwarte und nahm auch sonst regen Anteil an der Astronomie.

Berliner Instrumentenhersteller lieferten den Berliner und Potsdamer Astronomen Teleskope, Uhren, Spektrographen und andere Geräte. Umgekehrt profitierten die Werkstätten und Betriebe vom Wissen und der Erfahrung der Astronomen und bestritten einen beträchtlichen Teil ihrer Einnahmen aus deren Aufträgen.

Bis um 1900 waren Privatastronomen an der Tätigkeit der Berliner Sternwarte mit Beobachtungen und Rechnungen beteiligt und zogen ihrerseits Nutzen aus der Nähe zahlreicher Astronomen und Instrumente. Auch die breitere Öffentlichkeit profitierte von den Astronomen - durch den Zeitdienst und natürlich die populärwissenschaftliche Tätigkeit in Form von Vorträgen, Führungen, Publikationen und Auskünften. Bruno H. Bürgel, Robert Henseling und andere Amateur- bzw. Privatastronomen wiederum erweckten mit ihrer Tätigkeit Interesse an der Astronomie, was ein der Forschung wohlgesonnenes Klima schaffte. Nicht wenige Astronomen verdankten Bürgel zudem die Entscheidung für ihren Beruf. Die Berliner und Potsdamer Volkssternwarten und Planetarien sind unter Mitwirkung von Astronomen gegründet worden, allen voran die Berliner Urania mit ihrer Sternwarte, auf deren Tradition sich die heutigen Urania-Vereine in Berlin und Potsdam berufen können.

Von Berlin und Potsdam aus wurde auch Wissenschaftspolitik getrieben - mit unmittelbarem Einfluß auf die Astronomie nicht nur in der Region, sondern auch weit darüber hinaus. In Berlin hatten die Ministerien Preußens, des Deutschen Reiches und der DDR ihren Sitz; die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft - Vorläufer der heutigen Deutschen Forschungsgemeinschaft - wurde hier gegründet. Die preußischen Könige und die deutschen Kaiser nahmen persönlich Einfluß auf die Zuteilung von Mitteln für die Astronomie. Die Entscheidungen über die Gründung der Sternwarten in Königsberg und Bonn fielen in Berlin. Die Berliner Akademie der Wissenschaften gab Gutachten ab, war an Berufungen beteiligt, finanzierte eigene Projekte und verwaltete in DDR-Zeiten auch die Akademieinstitute, darunter das ZIAP. Von Potsdam aus wurden eine Zeitlang die Sternwarten in Sonneberg und Tautenburg geleitet.

Auf alle diese Verflechtungen kann in diesem Band nur ausschnittsweise eingegangen werden. Die Beiträge, die im wesentlichen neue wissenschaftshistorische Forschungsergebnisse vorstellen, beleuchten schlaglichtartig eine dreihundertjährige Entwicklung mit ihren Höhen und Tiefen. Die Einleitung soll dazu den Überblick liefern, und die Bibliographie im Anhang weist auf zahlreiche andere Publikationen zum Thema hin. Eine umfassende Geschichte der Astronomie in Berlin und Potsdam in geschlossener Form ist erst noch zu schreiben, und wir hoffen, mit diesem Buch eine weitere Vorarbeit dazu geleistet zu haben.

Für die Leser, die sich in der Region und ihrer Geschichte nicht auskennen, sei eine Erläuterung zu den geographischen Gegebenheiten gestattet. Der größte Teil des heutigen Berlin entstand durch Eingemeindungen umliegender Orte wie Charlottenburg, Schöneweide, Treptow usw., aus denen die Stadtbezirke wurden. Der Einfachheit halber werden in historischen Darstellungen diese Gemeinden oft zu Berlin gerechnet, auch wenn sie noch nicht dazu gehörten. Zum Beispiel lag das Schloß Lietzenburg (später Charlottenburg), in dem Sophie Charlotte, Leibniz und Jablonski die Gründung der Berliner Sternwarte diskutiert haben dürften, damals außerhalb Berlins. Auch als Gottfried Kirch in die Dorotheenstadt zog, die vor allem durch die Prachtstraße »Unter den Linden« bekannt wurde, wohnte er außerhalb Berlins. Erst 1709 wurden die fünf königlichen Residenzen Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichsstadt zur »Königstadt Berlin« vereinigt; heute ist dies der Berliner Stadtbezirk Mitte. - Potsdam grenzt im Südwesten unmittelbar an das heutige Berliner Stadtgebiet, ist aber einer Eingemeindung entgangen. Als die Sternwarte Babelsberg gegründet wurde, gehörte die Gemeinde Neubabelsberg noch nicht zu Potsdam; die in den ersten Jahren verwendete Bezeichnung »Sternwarte Berlin-Neubabelsberg« sollte darauf hinweisen, daß es sich um die nach Neubabelsberg verlegte Berliner Sternwarte handelte. Neubabelsberg wurde 1938 mit Nowawes zur Stadt Babelsberg vereinigt, bereits ein Jahr später aber zu Potsdam eingemeindet. Die Sternwarte behielt trotzdem die Bezeichnung »Berlin-Babelsberg« bei, erst nach 1945 verschwand Berlin aus dem Namen. Auch der Telegraphenberg, auf dem ab 1874 das Astrophysikalische Observatorium Potsdam errichtet wurde, gehörte damals noch nicht zum Stadtgebiet. Wenn im Buch von Berlin und Potsdam gesprochen wird, ist somit das territoriale Umfeld eingeschlossen. Dazu zählt auch Tremsdorf, eine wenige Kilometer südöstlich Potsdams gelegene Gemeinde, die das Observatorium für solare Radioastronomie beherbergt, das immer von Berlin oder Potsdam aus verwaltet wurde. Die engen Verbindungen zwischen Berlin, Potsdam und der Region wurden besonders durch den Bau der radial aus Berlin herausführenden S-Bahn-Strecken gefördert. Daß Berlin mehrere Jahrzehnte lang politisch und durch die Mauer geteilt war, was starke Auswirkungen auf die Entwicklung der astronomischen Einrichtungen hatte, dürfte dagegen allgemein bekannt sein.

Im Buch werden die Lebensdaten der genannten Personen nur dann gegeben, wenn es zur zeitlichen Einordnung notwendig erschien. Ansonsten können die Daten aus dem Personenverzeichnis entnommen werden, ebenso wie die Vornamen, Rufnamen und eventuellen Namensvarianten.

[Danksagung / Acknowledgements]

 

Potsdam, im März 2000

Wolfgang R. Dick und Klaus Fritze


Bibliographische Angaben / Bibliographical details:

Wolfgang R. Dick, Klaus Fritze: Vorwort. In: Wolfgang R. Dick, Klaus Fritze (Hrsg.): 300 Jahre Astronomie in Berlin und Potsdam. Eine Sammlung von Aufsätzen aus Anlaß des Gründungsjubiläums der Berliner Sternwarte. (Acta Historica Astronomiae ; 8). Thun ; Frankfurt am Main : Deutsch, 2000, S. 7-10.